Neun Monate nach Abschalten der letzten Atomkraftwerke in Deutschland reißt die Debatte um einen Wiedereinstieg nicht ab, obwohl es keinen Blackout gab, die Strompreise gesunken sind, zusätzlich auch die Kohleverstromung auf einen historischen Tiefpunkt zurück gegangen ist und auch die Stromimporte zu mehr als der Hälfte aus Windenergie, vor allem aus Dänemark, bestanden. Keines der Argumente aus der Mottenkiste der Atomlobby hat gegriffen.
Dennoch wird in konservativen Medien und aus der Politik, die Wiederinbetriebnahme der abgeschalteten AKW gefordert. Herr Söder und Herr Dobrindt wollen die bayrischen AKW reaktivieren. Und die Freien Demokraten für Kernkraft rufen ihre Partei auf, sich für die energiepolitische Rolle rückwärts einzusetzen. In deren Liste mit sieben Wiedereinstiegskandidaten befindet sich auch das AKW Krümmel.
Dem erteilt der Reaktorleiter Torsten Fricke nun in einer öffentlichen Veranstaltung eine klare Absage.
In der Reihe Energiewende Konkret informiert der Betreiber Vattenfall über die Veränderungen am Standort des AKW Krümmel. Unterbrochen durch die Pandemie fand am 11.01.2024 im Oberstadttreff in Geesthacht zum ersten Mal wieder eine Infoveranstaltung für die breite Öffentlichkeit statt. (Hier findet sich der Bericht des Betreibers mit den Vortragsfolien)
Was viele verwundern mag; auch wenn bereits am 25.08.2015 ein Antrag auf Stilllegung- und Abbau gestellt wurde, gibt es noch keine Genehmigung der Atomaufsicht in Kiel. Ein erster Entwurf ist nun für Ende März angekündigt.
Zum Vergleich für das AKW Grohnde wurde durch den Betreiber Preußen Elektra am 26.10.2017 der entsprechende Antrag gestellt. Am 11.12.2023 erteilte die Atomaufsicht in Hannover die Genehmigung zum Rückbau. Warum man in Schleswig-Holstein für einen Entwurf 2 ½ Jahre länger braucht als Niedersachsen für die fertige Genehmigung lässt sich nur mit norddeutscher Gelassenheit erklären. Vielleicht ist das auch das neue Schleswig-Holstein-Tempo.
Dass auch ohne Genehmigung schon viele Vorarbeiten möglich sind, wurde auf der Infoveranstaltung anhand verschiedener Beispiele präsentiert: so wurden in einzelnen Bereichen der Anlage Dämmmaterialien entfernt, nicht mehr benötigte Notstromdiesel abgebaut und verkauft, die Lagergestelle für die Brennelemente ausgebaut, an einzelnen Bauteilen Kratzproben für die radiologische Charakterisierung entnommen, mit der Zerlegung der Turbine begonnen und der Reaktordruckbehälter von den Zuleitungen getrennt.
Auf direkte Nachfrage zu anderslautenden Presseberichten macht Herr Fricke klar, dass eine Wiederinbetriebnahme technisch nicht machbar sei. „Den Reaktordruckbehälter können Sie nur noch wegschmeißen“ und „Für die Bauteile, an denen wir Kratzproben entnommen haben, könnten wir keinen, für Wiederanfahren notwendigen, Sicherheitsnachweiß erbringen.“
Für die Region ist das eine gute Nachricht, für die Diskussion um das Wiederanfahren sicher nicht das Ende. Denn in der Liste der möglichen Kandidaten befindet sich auch das AKW Gundremmingen C. Dort hatte der Reaktorleiter sich schon im März 2023 sehr ähnlich geäußert, ohne dass zu einem Ende der Debatte geführt hätte.
Letztlich geht es hier nicht um rationale energiepolitische Entscheidungen, sondern um ein ideologisches Festhalten an einer gefährlichen und unwirtschaftlichen Technologie, mit deren strahlenden Hinterlassenschaften noch Generationen nach uns beschäftigt sein werden.
In einem extrem schlecht recherchierten Artikel vom 08.12. sitzt die Lüneburger Landeszeitung der immer wieder auftauchenden Mär der Renaissance der Atomkraft auf. Während weltweit der Atomstrom immer mehr abnimmt, versucht die Atomindustrie, bzw. interessierte politische Kreise aus FDP und CDU, deren Aufschwung herbeizureden. Und die LZ merkt nicht, dass da keine Substanz vorhanden ist.
Wir möchten hier dezidiert am Artikel von Matthias Koch (Texte in schwarz) einen Realitätscheck (Texte in blau) machen.
Der Klimaschutz verändert die Sichtweise. Die Atomkraft, in Deutschland totgesagt, findet derzeit weltweit verblüffend viele neue Freunde – sogar in ehemaligen Ausstiegsstaaten wie Schweden. Beim UN Klimagipfel in Dubai haben 22 Staaten soeben vereinbart, ihre AKW-Kapazitäten bis zum Jahr 2050 zu verdreifachen.
Realitätscheck
Grundsätzlich stimmt der Blick auf jene “Dubai-Connection” so. Diese Vereinbarung gibt es. Nur neu sind die Freude nicht, sondern die alten Verdächtigen. Und was sich Herr Koch aber gespart hat, ist sie auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen. Wäre der Ausbau der Atomkraft, wie ihn die Vereinbarung vorzeichnet, überhaupt möglich?
Demnach geht der Anteil der Atomkraft an der globalen Stromproduktion seit 1996 kontinuierlich zurück, auf nun 9,2 %. Ein zukünftiger Anstieg ist nicht in Sicht. Denn es werden kaum Neubauten gestartet. Und die Inbetriebnahme dauert durchschnittlich 10 Jahre.
Tabelle: Jährlicher Baubeginn und Inbetriebnahme von AKW weltweit
Baubeginn
Inbetriebnahme
2012
2
6
2013
4
3
2014
5
2
2015
10
9
2016
10
3
2017
4
5
2018
9
5
2019
6
5
2020
5
5
2021
6
10
2022
6
8
2023
4
4
Und Realität ist auch das hohe Alter der Reaktoren. Selbst mit einer Laufzeitverlängerung auf 50 Jahre, wie jetzt in Frankreich beschlossen, müssen bis 2050 weltweit 270 AKW ersetzt werden. Alleine in Frankreich 54 der jetzt laufenden 56 Reaktoren.
Daraus ergibt sich eine einfache Rechnung: Derzeit sind weltweit 412 Reaktoren im Betrieb. Es müssten also 824 zusätzliche gebaut werden. Hinzu kommen die 270 Reaktoren, die aus Altersgründen vor 2050 vom Netz gehen werden. Das macht zusammen 1094 zusätzliche AKW. Um die 2050 am Start zu haben, müsste der letzte Baustart 2040, in 17 Jahren, erfolgen.
Um bis 2050 den Atomstromanteil zu verdreifachen müssten also jährlich 64 Atomkraftwerke in Bau gehen.
64 statt, wie in diesem Jahr, 4.
Wie unrealistisch das ist, zeigt das Beispiel Frankreich. Dort hat Herr Macron den Bau von sechs Reaktoren angekündigt. Kurze Zeit später teilte der Staatskonzern EDF mit, dass man dafür gar nicht die kurzfristige Kapazität habe. Der erste Reaktor werde 2039 ans Netz gehen, der letzte 2050 (Alle Daten aus dem Frankreich Kapitel im WNISR 2023).
Atomkraft? Viele Deutsche wollen davon am liebsten gar nichts mehr hören. Sie sind froh, dass Bundeskanzler Olaf Scholz die Sache im September dieses Jahres für erledigt erklärt hat: „Das Thema Kernkraft ist in Deutschland ein totes Pferd.“ Die Welt um uns herum sieht es allerdings ein bisschen anders.
Realitätscheck
Zur Welt um uns herum gehören aber auch alleine in Europa Länder wie Norwegen, Dänemark, Irland, Luxemburg, Portugal, Griechenland, Italien, Österreich, Estland, Lettland, Island, die ganz gut auf Atomkraft verzichten können. Mehr als die Hälfte der EU-Staaten ist frei von Atomkraft. Wenn von weltweit knapp 200 Ländern nur 34 Atomstrom nutzen, fragt man sich, wer da auf einem Sonderweg unterwegs ist.
Beim UN Klimagipfel in Dubai zum Beispiel zeigte sich dieser Tage das tote Pferd verblüffend lebendig. Da verabredeten 22 Staaten der freien Welt, ihre AKW-Kapazitäten bis zum Jahr 2050 zu verdreifachen. Anders, heißt es in der gemeinsamen Erklärung, sei die geforderte Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes nicht zu schaffen. Zu den Unterzeichnerstaaten gehören die USA, Kanada, Japan, Südkorea, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Polen, Schweden, Finnland, Tschechien, Ungarn und Rumänien. Sie alle schielen jetzt auf Kredite der Weltbank. Russland und China investieren ohnehin seit Langem beträchtliche Summen in die Atomenergie. Peking plant derzeit sechs bis acht neue Reaktoren pro Jahr. 55 sind schon am Netz.
Realitätscheck
In der Realität liegt der Atomstromanteil in China nur bei 5 %. Erneuerbare Energie machen in China hingegen 15,4 % der Stromproduktion aus, also drei Mal so viel wie Atomstrom.
Zuwachs und Investitionsausgaben liegen bei den Erneuerbaren auch in China weit über denen im Nuklearbereich. 2023 sind nur zwei Reaktoren hinzugekommen. Dahingegen hat Solar um 11,2 % und Wind um 28,1 % zugelegt (Alle Daten aus dem China Kapitel im WNISR 2023)
Das Antiatomland Deutschland wurde zur Runde der 22 in Dubai gar nicht erst eingeladen. Man wollte die Berliner nicht in Verlegenheit bringen. Jeder wisse doch, wird in der Branche gewitzelt, dass die Deutschen an dieser Stelle „anders sind als die anderen Kinder“. Eine Zeit lang gab es in anderen Ländern so etwas wie abwartenden Respekt gegenüber den Deutschen und ihrem energiepolitischen Sonderweg. Inzwischen aber regieren Hohn und Spott. Bei der boomenden Messe World Nuclear Exhibition 2023 bei Paris schüttelten viele Teilnehmer nur noch den Kopf über Deutschland. „Schade“, gab dort ein französischer Manager dem „Spiegel“ zu Protokoll. „Ich mag die Deutschen, die machen gute Arbeit. Sie hatten die besten Atomkraftwerke.“
Realitätscheck
Wie kann das sein? Das letzte Atomkraftwerk ging in Deutschland 1988 ans Netz. Auf keines davon wurden die 2012 verschärften EU Sicherheitsanforderungen angewandt. Die Atomlobby behauptet, dass bei modernen AKW das Störfallrisiko durch neue Technik reduziert worden sei. Und dennoch sollen 35 Jahre alte Reaktoren die besten der Welt sein?
Am 15. April dieses Jahres schaltete Deutschland seine drei letzten Kernkraftwerke ab. Grüne und SPD hatten innerhalb der Ampelkoalition darauf bestanden. Mit dem Beschluss wurden drei im europäischen Maßstab überdurchschnittlich moderne und leistungsfähige Meiler vom Netz genommen.
Realitätscheck
Überdurchschnittlich modern? Auch bei dieser Aussage lohnt der Faktencheck anhand der Daten der IAEA. Dabei wird deutlich, dass die drei über dem globalen Altersdurchschnitt lagen (Datengrundlage WNISR 2023).
Tabelle: Durchnittsalter der Reaktoren
Land
Durchschnittsalter der Reaktoren
Niederlande
50 Jahre
Schweiz
47,3 Jahre
Belgien
44,2 Jahre
USA
42,1 Jahre
Schweden
41,0 Jahre
Frankreich
38,0 Jahre
Isar, Neckarwestheim Emsland beim Abschalten
36,6 Jahre
Großbritannien
36,1 Jahre
Japan
32,4 Jahre
Globaler Durchschnitt
31,5 Jahre
Russland
29,9 Jahre
Indien
25,2 Jahre
Südkorea
23,1 Jahre
China
9,6 Jahre
Die AKWs Emsland (Niedersachsen), Isar 2 (Bayern) und Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg) lieferten genug Strom für 10 Millionen Haushalte. Nicht nur Union und FDP in Deutschland sahen ihre Abschaltung als Fehlentscheidung. Klimaschützende rund um den Globus schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Allein diese drei Reaktoren hätten dem Planeten den Ausstoß von 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr erspart, hieß es in einem offenen Brief von Physikerinnen, Physikern und Klimaforschenden aus aller Welt, darunter zwei Nobelpreisträgern, an den deutschen Bundeskanzler.
Die Forschenden plädierten dafür, die Abschaltung in letzter Minute zu stoppen. Ein Laufenlassen der deutschen Reaktoren liege „im Interesse der Bürger Europas und der Welt“. Doch der Appell drang nicht durch. In Berlin dominiert ein Denken in den Kategorien nationaler Verabredungen. Die in Parlament und Regierung angekommene Antiatombewegung beharrte auf ihrem Ziel, knapp vier Jahrzehnte nach dem Unglück im Sowjet-Reaktor Tschernobyl wenigstens in Deutschland alle Reaktoren stillzulegen.
Realitätscheck
Nicht die Atomkatastrophe in Tschernobyl wäre hier der Referenzpunkt, sondern ein deutlich aktuelleres Ereignis: Die Mehrfachhavarie –der so genannte SuperGAU– mit 3 Kernschmelzen am japanischen AKW-Standort Fukushima vor erst 12 Jahren, die bis heute massive Nachwirkungen und das tägliche daran Arbeiten in Fukushima zeitigt.
Und wenn sich Herr Koch hier auf Tschernobyl bezieht, hätte man doch vielleicht an dieser Stelle auch auf die Angriffe auf Atomanlagen in der Ukraine hinweisen müssen. Immerhin steht es seit 1 ½ Jahren immer wieder kurz vor einer Atomkatastrophe in den Anlagen in Tschernobyl und Saporischschja.
Ein grundsätzliches Missverständnis, gibt es im Artikel, wann denn die „letzte Minute“ war.
Im Prinzip gab es mindestens vier letzte Minuten.
2012 hat die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung entschieden, dass die neuen Sicherheitsanforderungen für Atomanlagen nicht mehr auf die laufenden AKW angewendet werden müssen, da die ja bis Ende 2022 abgeschaltet werden.
2018 gab es Stimmen aus der Atomwirtschaft, dass man nun mit dem geplanten Stellenabbau beginnen werde, wenn es keinen Ausstieg aus dem Ausstieg gebe. Die damalige schwarz-rote Regierung hat nicht reagiert.
2019 wurden bei den drei verbliebenen AKW keine periodischen Sicherheitsuntersuchungen mehr durchgeführt, weil Schwarz-Rot am Ausstieg festhalten wollte.
Im Sommer 2020, vor der Bundestagswahl, hätten Brennelemente bestellt werden müssen, um den Weiterbetrieb zum Ende 2022 nahtlos hinzubekommen.
Auch wenn sich die Grünen gerne damit brüsten: die „letzte Minuten“ und damit die Verantwortung für das Abschalten der letzten AKW in Deutschland fallen alle in die Zeit, als die CDU an der Macht war.
Der Zeitpunkt für den Ausstieg hätte nicht schlechter gewählt werden können. Der entstandene Schaden ist beträchtlich: strategisch, ökonomisch, klimapolitisch. Der Atomausstieg schwächt Deutschlands Stromversorgung in einem Moment, in dem Russland den größten Krieg in Europa seit 1945 begonnen hat. Er steigert die Verunsicherung von Firmen wegen hoher Strompreise und treibt Investitionen ins Ausland. Zudem, darin liegt der Hohn, trübt er auch noch Deutschlands Klimabilanz. Im Ergebnis steht Deutschland doppelt dumm da: Berlins Energiepolitik verbindet das ökonomisch Schädliche mit dem ökologisch Peinlichen. Schon seit vielen Jahren erlauben sich die Deutschen einen deutlich höheren Kohlendioxidausstoß pro Kopf als etwa Frankreich. Mit der neuerdings wieder wachsenden winterlichen Gas- und Kohleverstromung wird Deutschlands klimapolitischer Fußabdruck sogar noch etwa hässlicher als bisher.
Realitätscheck
Was hier stimmt: der Kohlendioxidausstoß von Frankreich ist besser, als der von Deutschland. Man hätte an der Stelle aber auch erwähnen können, dass Island und Norwegen ohne Atomstrom ähnlich niedrige C02-Emissionen bei der Stromproduktion hat, wie Frankreich; Tschechien trotz 35 % Atomstrom schlechtere Werte als Deutschland (alle Werte laut Electricity Maps).
Falsch ist die Aussage, dass die Werte in Deutschland nach dem Atomausstieg schlechter würden. Hier lohnt erneut ein Faktencheck. Diesmal anhand Zahlen der Electricity Maps.
Im November 2023 lagen die C02-Emissionen aufgrund der Stromproduktion in Deutschland bei 438 g /kWh. Das ist ein schlechter Wert, aber immer noch besser als die 511 g/kWh im Jahr davor. Der bessere Wert resultiert daraus, dass der Anteil der Erneuerbaren selbst im Winter von 47 % auf 59 % gestiegen ist. Dabei war der Zuwachs an Erneuerbarer Energie vom November 2022 zum November 2023 mit 3,4 TWh höher als die 2,8 TWh Atomstrom aus dem November 2022.
Deutschland steht nach dem Ausstieg also besser da als vorher und nicht schlechter.
Vor Beginn der Weltklimakonferenz in Dubai aber wagte jetzt immerhin der Chef der Weltorganisation für Meteorologie, der Finne Petteri Taalas, ausnahmsweise mal Klartext: Deutschland solle, sagte Talaas in Genf, „den Atomausstieg überdenken“. Ohne Atomkraft den Kohleausstieg zu bewerkstelligen und trotzdem genügend bezahlbare Energie herzustellen, werde nämlich „schwierig“.
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“Bezahlbar” und “Atomstrom” ist ein Widerspruch in sich, denn der Neubau von AKW ist extrem teuer.
Die Neubauprojekte Olkioluto 3 in Finnland, Flammanville in Frankreich und Hinkley Point C in Großbritannien sind alle finanziell aus dem Ruder gelaufen. Ursprünglich sollte jeder dieser Reaktoren rund 3 Milliarden Euro kosten. Olkioluto 3 ging letztes Jahr für 11 Milliarden Euro ans Netz. An den beiden anderen wird noch gebaut. Aktuelle Kostenschätzung Flamanville: 19 Milliarden Euro; Hinkley Point: 22 Milliarden Euro.
Um den Bau von Hinkley Point C zu finanzieren, wurde für die nächsten 35 Jahre ein Strompreis in Höhe von 92,50 Pfund pro Megawattstunde garantierten. Die Differenz zum Marktpreis zahlt der britische Staat.
Anders als die Deutschen haben die Skandinavier frühzeitig das Dilemma als solches erkannt. In Finnland zum Beispiel formierte sich sogar bei den Grünen schon vor einigen Jahren eine Strömung, die nach und nach die Gefahren durch den Klimawandel als gravierender empfand als die Gefahren durch den Betrieb moderner Kernreaktoren. „Unsere jüngsten Mitglieder haben die Dinge neu gewichtet“, sagt Veli Liikanen, Generalsekretär der finnischen Grünen. „Heute sind bei uns viele im Alter von 20 plus unterwegs, die selbst aus technischen Berufen kommen und wohl auch deshalb wenig Angst vor Technik haben. Was ihnen wirklich Angst einjagt, ist der Klimawandel.“
Finnland diskutiert über das Thema ohne die in Deutschland übliche Feindseligkeit. Zur entspannteren Gangart trug bei, dass Finnland die leidige Endlagerfrage beantwortet hat: durch bereits im Bau befindliche Strukturen in einer Felsformation. Die Finnen wollen ihre radioaktiven Abfälle in Granit einlagern und dann auf Nimmerwiedersehen zuschütten. Als Lagerstätte wurde fennoskandisches Grundgebirge ausgesucht, das schon 1,8 Millionen Jahre in seiner jetzigen Formation überdauert hat.
Realitätscheck
Auch hier fehlen einige wichtige Fakten. Es wird der Eindruck erweckt, dass Finnland schneller bei der Endlagersuche ist und die Entscheidung für Granit als Wirtsgestein einen geologischen Hintergrund hat.
Als Erstes muss man hier ergänzen, dass es in Finnland außer Granit gar keine Option gibt. Im deutschen Suchverfahren können auch Ton- und Salzgestein mitbetrachtet werden. Auf dem Forum Endlagersuche in Halle in diesem November gab es gleich mehrere Stimmen, die dafür sprachen, Granit frühzeitig auszuschließen, da in diesem Gestein immer mit dem Eindringen von Wasser zu rechnen ist. Die finnische Option wird hier eher als kritisch gesehen.
Und schneller ging es in Finnland auch nicht. Auch dort hat man über Jahrzehnte gesucht. Jahrzehnte, die in Deutschland damit verschwendet wurden, mit Gorleben an einem Standort festzuhalten, bei dem schon in der 80er Wissenschaftler*innen auf die gravierenden Sicherheitsmängel hingewiesen hatten.
Diese Aussichten ließen die Risiken der Atomkraft aus finnischer Sicht auf ein beherrschbares Maß schrumpfen. Gewachsen ist indessen der Wunsch, unabhängig zu bleiben vom unberechenbaren Nachbarland Russland.
Aktuell versucht der russische Konzern über ein Joint Venture mit Frankreich einen Fuß in die Brennelementfertigung am Standort Lingen zu bekommen. Russische Mitarbeiter in einem Hochsicherheitsunternehmen auf deutschem Boden.
Derzeit befinden sich außerhalb Chinas nur 34 Reaktoren im Bau. 20 davon baut Rosatom und schafft damit langfristige Abhängigkeiten (Angaben nach IAEA und WNISR).
Hinzu kommt der Wunsch, die Menschen schon aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit mit preiswerter Energie zu versorgen.
Realitätscheck
Und wieder das absurde Kostenargument. Das doch eigentlich gegen Atomkraft spricht.
Eine weitere Abbildung aus dem Uranatlas, diesmal auf Basis von Berechnungen des Frauenhofer-Instituts, zeigt, dass auch bei bestehenden Anlagen Atomstrom deutlich teurer ist als Wind- und Solarstrom.
Ähnlich ticken die Schweden. Jahrzehntelang war das Land auf Atomausstiegskurs. Doch an drei Standorten blieben sechs Reaktorblöcke am Netz. Inzwischen formieren sich Mehrheiten für einen umfassenden nuklearen Neustart. Zu den wichtigsten Proatomtreiberinnen in Schweden gehört die Umweltministerin. Für die erst 28 Jahre alte Romina Pourmokhtari gehören Klimaschutz und Atomkraft zusammen. Anders sei beispielsweise der Umstieg auf E Mobilität nicht zu schaffen. Pourmokhtari, eine Liberale, wurde als Tochter eines iranischen Einwanderers in einem Vorort von Stockholm geboren. In Uppsala hat sie Politik studiert. Pourmokhtaris unkonventioneller Politikmix hat anfangs viele verwirrt, findet aber zunehmend Anhängerinnen und Anhänger. Sie setzt sich ein für höhere Steuern auf Kohlendioxidemissionen und auf Kapital, zugleich verlangt sie niedrigere Steuern auf Arbeit und Strom. In einer Erklärung zum Thema Ny Kärnkraft (Neue Kernkraft) schrieb Pourmokhtari im November, Schweden müsse sich auf die Verdopplung des Stromverbrauchs in den nächsten 20 Jahren einstellen. Ihre Regierung wolle daher „den Betrieb von mehr als zehn Reaktoren zulassen und den Bau von Reaktoren auch dort ermöglichen, wo es derzeit keinen Reaktor gibt“.
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Da hat Herr Koch wohl verpasst, dass es um diese Aussage große Verwirrung in der Regierung gab, weil Frau Pourmokhtari die nicht abgesprochen hatte. Das Ausbauversprechen wurde inzwischen wieder relativiert. Völlig unklar auch, wie es zu finanzieren wäre. Schon jetzt rechnen sich die Altreaktoren in Schweden nicht. Für die AKW-Neubauten in Schweden würden laut einer Studie aus dem Jahre 2021 Produktionskosten von 4,2 bis 5,5 Eurocent pro Kilowattstunde anfallen, während der durchschnittliche Strompreis in Schweden bei 3,2 Eurocent pro Kilowattstunde liegt.
Polen hat in diesem Herbst schon Nägel mit Köpfen gemacht. Am 29. September verkündete die Regierung in Warschau eine Zeitenwende: den Einstieg Polens, das jahrhundertelang an der Kohle hing, in die zivile Nutzung der Kernenergie, und zwar auf breiter Front. Als Erstes plant Polen den Bau von drei Reaktoren an der Ostseeküste, im Ort Choczewo, eine Autostunde nordwestlich von Danzig. Die Verträge wurden bereits feierlich unterschrieben. Vertreter zweier amerikanischer Konzerne reisten an: Kernkraftspezialist Westinghouse und Bauriese Bechtel. Bis 2043 will Polen insgesamt sechs neue Kernreaktoren ans Netz gehen lassen. Auch südkoreanische Technologieanbieter sollen zum Zuge kommen. In früheren Zeiten wäre das ein Fall für Siemens gewesen.
Realitätscheck
Tatsächlich setzt Polen auf einen Einstieg in die Atomenergie. Allerdings nicht erst seit diesem Herbst. Das polnische Atomprogramm stammt von 2008 und mündete im Februar 2023 in die Vertragsunterschrift für drei Reaktoren der Firma Westinghouse. Kostenumfang 20 Milliarden US-Dollar.
Für drei weitere Reaktoren gibt es Verhandlungen mit Korea Hydro & Nuclear Power. Vom Vertragsabschluss ist man aufgrund von wettbewerbsrechtlichen Klagen aber noch weit entfernt.
Trotzdem stimmt die Aussage, dass Polen in die Atomenergie einsteigt. Was aber fehlt, ist der Hinweis, dass Polen da auf einsamer Flur steht. Nur in Nigeria, Kasachstan, Usbekistan und Saudi-Arabien gibt es derzeit konkrete Überlegung über einen Einstieg. Keines dieser Länder hat das Stadium eines Vertragsabschlusses erreicht, weder gibt es Standortentscheidungen, noch Ausschreibungsverfahren.
Indonesien, Vietnam, Thailand und Jordanien haben ihre Nuklearprogramme eingestellt (Angaben aus dem Kapitel Newcomer des WNISR)
Polen ist also kein Beispiel sondern eine Einzelfall.
Das Beispiel Polen zeigt: Die in Dubai an die Öffentlichkeit getretene Proatomallianz will nicht nur Erklärungen abgeben und Papiere bedrucken. Sie ist schon dabei, Fakten zu schaffen, und zwar in großem Stil – an Deutschland vorbei.
Realitätscheck
Dass es einen Ausbau im großen Stil gibt, bleibt zu bezweifeln. Zu erwarten ist allenfalls ein Abbremsen des Abschwungs.
Aber die nahe Zukunft wird es ja schon zeigen. Um das Ausbauziel zu erreichen, bräuchte es bis Ostern 20 Baustarts, bis zum Nikolaustag müssten weitere 40 hinzukommen.
Da wetten wir doch eine Kiste Bionade, dass schon die erste Hürde gerissen wird. Ob Herr Koch wohl dagegen wettet?
Das diesjährige Forum Endlagersuche ist vorbei. Sind wir nun schlauer? Teils, teils.
Für die Region Lüneburg ein echter Knaller: in einem der Fachvorträge im Vorprogramm wurde die Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu den Auswirkungen zukünftiger Kaltzeiten präsentiert.
Der gefährliche Atommüll muss über 1.000.000 Jahre sicher verschlossen werden. In dieser Zeit werden aufgrund regelhafter Veränderungen der Erdumlaufbahn die globalen Temperaturen neun Mal soweit absinken, dass große Teile Norddeutschlands unter Gletschern verschwinden (Einschub: Das hat nichts mit dem menschgemachten Klimawandel zu tun und wird diesen auch nicht ausgleichen).
Auch für Lai*innen wird schnell klar: Wenn sich Schmelzwasserrinnen aus diesen Gletschern in ein Atommülllager einschneiden, hat man ein Problem.
Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat angekündigt, dass man jeweils auf diese Rinnentiefen 300 Meter Sicherheitsabstand aufschlagen wird. Das heißt, in allen Teilgebieten in unserer Region dürfte der Atommüll erst unterhalb von 900 Metern eingelagert werden.
Zur Erinnerung der Landkreis Lüneburg ist aktuell noch mit 5 von bundesweit 90 Teilgebieten im Rennen – vier Mal Salz, einmal Ton (weitere Infos zu den „Lüneburger“ Teilgebieten hier)
Spontane Reaktion: Das ist doch für die Teilgebiete in unserer Region mindestens ein Gelbe Karte, denn wenn an den „besten“ Standort sucht, kann der wohl kaum einer sein, an dem die stärksten Auswirkungen zukünftiger Kaltzeiten erwartet werden.
Für die Tonvorkommen in der Region gilt das noch viel mehr, denn bei Ton als Wirtsgestein würde die BGE aufgrund des Arbeitsschutzes nur bis maximal 1000 Meter Tiefe einlagern. Damit bleiben bei uns nur die Bereiche zwischen 900 und 1000 Metern: Bis jetzt ist noch nicht mal klar, ob es in den 100 Metern überhaupt Tonvorkommen gibt.
In einem weiteren Fachvortrag im Vorprogramm haben wir gelernt, wie komplex die Bewertung von Tonvorkommen ist. Einfache Aussagen darüber, wo „die Besten“ zu finden sind, lassen sich nicht treffen. Augenscheinlich besteht aber Einigkeit darüber, was Tonvorkommen ungeeignet für ein Endlager macht (z.B. geringe Verfestigung, Heterogenität, hoher Anteil organischer Anteile) und für einzelne Bereiche der Ton-Teilgebiete scheint auch schon klar, dass hier nur solche ungeeignete Tonvorkommen zu finden sind.
Außerdem haben die verschiedenen Landesämter für Geologie in ihren Stellungnahmen zum Zwischenbericht der BGE schon 2020 angemerkt, dass ihre Bohrdaten belegen, dass in den ausgewiesenen Gebieten großflächig gar kein Ton vorkommt.
Die Erwartungshaltung wäre ja nun, dass uns an diesem Wochenende eine Teilgebiete-Karte 2.0 präsentiert wurde, mit weniger und deutlich kleineren Teilgebieten, denn auch Oma Erna würde schnell erkennen, wo kein Ton ist, kann man auch keinen Atommüll in Ton einlagern.
Und zu den Salzstöcken hätten wir eine klare Positionierung erhofft: sind die in der Zone mit den tiefsten Rinnen jetzt raus aus dem Verfahren oder haben sie nur eine Gelbe Karte oder ist das zum jetzigen Zeitpunkt der Suche egal.
Aber es bleibt, wie bei den Salzstöcken unter der Nordsee: Nichts wird vorzeitig preisgegeben.
Wieder wurde uns nur das Eingrenzungsverfahren erläutert – nicht dessen Konsequenzen.
Die Teilgebiete-Karte 2.0, die von allen Seiten jetzt schon seit drei Jahren eingefordert wird, werden wir frühestens im November 2024 sehen – wie weit der Rausschmiss ungeeigneter Gebiete dann gehen wird, bleibt unklar.
Die Unzufriedenheit darüber zog sich durch viele Veranstaltungen des Fachforums. Mal wurde das umständliche Verfahren kritisiert oder mal Mut beim Ausgrenzen ungeeigneter Gebiete gefordert.
Unser Eindruck bleibt, dass die einzelne Entscheidungen längst getroffen sind. Es gibt die Karte 2.0 schon lange zumindest in den Köpfen der BGE, wenn nicht sogar als Papierskizze. Sie wird aber von der Öffentlichkeit geheim gehalten, aus Sorge etwas bekannt zu geben, was noch nicht bis ins letzte rechtssicher begründet ist.
Das mag in vielen strittigen Fällen richtig sein – vielleicht auch bei den Schmelzwasserrinnen.
Bei der Bekanntgabe von Gebieten, die trotz fehlendem Wirtsgestein noch im Verfahren sind, leuchtet das aber nicht ein.
Hier würde man sich mehr Mut der BGE wüschen, Zwischenstände als eben Zwischenstände bekannt zu geben, mit der Gefahr, dass man sich in Einzelfällen revidieren muss. Nicht das Vermeiden von Fehlern schafft Vertrauen, sondern der ehrliche Umgang damit.
Nun wird für November 2024 endlich eine aktualisierte Karte angekündigt. Nachdem was die BGE verspricht, könnte dann nach vier Jahren erstmals wirklich greifbare neue Erkenntnisse präsentiert werden.
Das bisherige Hin-und-her in der Frage, wie konkret diese Zwischenstände sein werden, lässt aber Zweifel offen. Aber vielleicht erleben wir mit der Karte auch ein zweites Mal, wie im September 2020, eine Überraschung mit einem völlig neuen Blick auf unsere Region.
Bis dahin herrscht Schweigen über den 5 Lüneburger Teilgebieten. Passt ja zur anstehenden Adventszeit.
Seit gut fünf Monate wird in Deutschland kein Atomstrom mehr produziert.
Vielleicht habt ihr es gemerkt, das Licht ist nicht ausgegangen, die Strompreise sind gesunken und, wenn man mit dem Ohr ganz dicht an die Steckdose kommt, kann man nun den sanften Hauch der Windkraft spüren.
Dennoch werden die Stimmen nicht leiser, die ein Wiederanfahren der Atomkraftwerke fordern.
Dabei ist das weder technisch noch rechtlich möglich … und schon gar nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Außerdem zeigen die frischen Quartalszahlen zur deutschen Stromeinspeisung: Wind und Solar haben den Atomstrom längst ersetzt.
Die Versorgungslage
Die Kapazität an erneuerbarer Kraftwerksleistung in Deutschland hat sich im 1. Halbjahr 2023 um 7,8 GW erhöht. Das ist fast das Doppelte der Kapazität der drei im April abgeschalteten Atomkraftwerke.
Kritiker*innen würden an der Stelle anfügen, dass die installierte Kapazität bei Dunkelflaute keine Rolle spielt. Aber auch bei der realen Stromproduktion bzw. der Einspeisung in Deutschland gab es vom 3. Quartal 2022 zum 3. Quartal 2023 eine positive Entwicklung: der Anteil der Erneuerbaren stieg von 44,4 % auf 64,1 %.
Der Zuwachs an erneuerbarem Strom, der in Deutschland produziert wurde (9,7 TWh), ersetzt damit den, im 3. Quartal 2022 eingespeisten, Atomstrom (8,7 TWh) vollständig.
In der öffentlichen Berichterstattung findet diese positive Entwicklung kaum Beachtung, stattdessen wird auf die gestiegenen Stromimporte verwiesen. In der Import/Export-Bilanz gibt es tatsächlich einen Anstieg. Die Importe sind aber nicht gestiegen, weil Deutschland weniger Kraftwerkskapazität hat (siehe Tab 1), sondern weil im Europäischen Stromnetz ein Überschuss an günstigem nicht-fossilem Strom vorhanden ist. Diese Importe hätte es vermutlich auch bei Weiterlaufen der AKW gegeben.
Zusätzlich zum dem, durch Erneuerbare ersetzten Atomstrom, wurden im 3. Quartal 2023 im Verhältnis zum Vorjahresquartal auch 22,1 TWh weniger an fossilem Strom eingespeist. Dieses war durch Strom aus Wind- und Solaranlagen in Deutschland (1,0 TWh) und Stromeinsparungen (11,1 TWh) möglich. Dazu kamen 10,0 TWh an importiertem Strom. Aus welchen Energiequellen dieser stammt, lässt sich nur schwer nachvollziehen. In den zugänglichen Auswertungen wird deshalb davon ausgegangen, dass die Importe dem Strommix des jeweiligen Herkunftslandes entsprechen. Es stammte damit zusätzlich zur Deutschen Einspeisung ein gutes Drittel der Importe aus Wind- und Solaranlagen.
Damit wäre die erste Frage beantwortet: Die Erneuerbaren haben den Atomstrom ersetzt!
Die zweite Frage, vor dem Hintergrund der Forderungen unter anderem aus dem Bayrischen Wahlkampf, ist die nach dem Realitätsbezug von Wiederanschaltplänen.
Die Situation an den Atomanlagen
Das Personal
Bereits 2018 gab es Stimmen aus den Reihen der Energieversorger, die darauf hingewiesen haben, dass man sich mit der Personalplanung auf das Abschalten der letzten AKW zum Ende 2022 einstelle.
Das hat die Groko damals nicht zum Anlass für eine Planänderung beeinflusst. Damit war eine Grundsatzentscheidung gefallen. Zur Einordnung: im Rahmen der Erörterungen rund um den Rückbau des AKW Krümmel hat der Betreiber angegeben, dass man mit dem Ende des Leistungsbetriebes die Zahl der Mitarbeiter*innen um etwa 1/3 reduziert hat. Der „Streckbetrieb“ Anfang diesen Jahres war nur möglich, weil Fachleute später in Rente gegangen sind.
Das Atomgesetz hat für alle ehemaligen Atomkraftwerke ein festes Ablaufdatum festgelegt. Damit erlischt die Genehmigung für den Leistungsbetrieb. Die Betreiber müssen nun einen Antrag auf Stilllegung und Abbau stellen. Solange der bearbeitet wird, befinden sich die Anlagen im Nachbetrieb und das Regelwerk aus dem Leistungsbetrieb gilt weiter. Mit Erteilung der Stilllegungs- und Abbaugenehmigung (SAG) erlischt die alte Betriebsgenehmigung und ein neues Regelwerk tritt in Kraft.
Als Konsequenz aus der Reaktorkatstrophe in Fukushima wurden 2012 europaweit die Sicherheitsanforderungen an Atomanlagen erhöht. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat das auch in deutsches Recht umgesetzt, aber entschieden, dass mit dem Ausstiegsbeschluss die Alt-AKW nicht nachgerüstet werden müssen. Keines der abgeschalteten AKW entsprach den neuen Sicherheitsanforderungen, keines wäre heute genehmigungsfähig.
Für alle jemals in Deutschland betriebenen AKW ist der Rückbauantrag gestellt. Nur bei Krümmel, Grohnde, Brokdorf, Emsland und Isar II gibt es noch keine Genehmigungen. Allen anderen befinden sich im Rückbau und sind damit selbst bei Atomfreundlicher Rechtsauslegung nicht mehr in Betrieb zu nehmen.
Für Krümmel, Grohnde und Isar II wird die Genehmigung Ende 2023 erwartet, bei den AKW Brokdorf und Emsland Ende 2024.
Die Rückbaurealität
Sobald die SAG vorliegt, beginnen die Betreiber unmittelbar mit den Rückbaumaßnahmen. Der Hintergrund ist hier in der finanziellen Regelung zu suchen: Den Rückbau zahlen die Betreiber, sobald der Atommüll in den Endlagerbehältern ist, werden die Kosten aus dem staatlichen Entsorgungsfond getragen. Es gibt also ein großes Interesse von EON und co., zügig in den Rückbau zu gehen.
Gleiches gilt für alle anderen AKW mit Rückbaugenehmigung, inklusive des, im April abgeschalteten, AKW Neckarwestheim II. Das AKW Krümmel hat hier noch eine Sonderrolle. Es steht bereits seit 2009 still, hat zwar noch keine SAG. Es wurden aber im nicht-nuklearen Bereich Um- und Abbaumaßnahmen vorgenommen, die ein Wiederanfahren unmöglich machen.
Fazit
Ein Wiederanfahren der ehemaligen Atomkraftwerke ist technisch nur noch bei vier AKW möglich. Auch bei diesen ist es unklar, ob es rechtlich zulässig wäre. Es gäbe kein Personal und über lange Zeit keine Brennelemente. Die Betreiber könnten – mit Recht – hohe Entschädigungszahlungen für den Stillstandbetrieb einfordern. Alle Aussagen von Söder, Merz und co, sie würden nach der Bundestagswahl 2025 die AKW reaktivieren, sind reines Wahlkampfgetöse.
Und es ist auch gar nicht nötig, weil der Ausbau der Erneuerbaren besser läuft, als behauptet.
Allerdings muss man an der Stelle ein klares Ja-Aber zwischen schieben. Denn nicht jedes Windrad ist automatisch mit dem Natur- und Artenschutz kompatibel und auch die ungeregelte Ausbreitung von Freiflächen-PV-Anlage ist nicht in unserem Sinne. Gruppen wie LAgAtom haben schon immer auf einen Dreiklang gedrungen: Energiesparen, Energieeffiziens und Erneuerbare. Vor allem bei den ersten beiden Punkten braucht es mehr Augenmerk. Wie ein naturverträglicher Ausbau aussehen kann, zeigen Positionspapiere der Umwelt- und Naturschutzverbände, wie z.B. dem BUND Niedersachsen (Wind, Solar, Wind Offshore) auf.
Am 05. September 2009 demonstrierten 50.000 Menschen in Berlin für ein Ende der Atomkraft. Kurz danach kippt die neue schwarz-gelbe Bundesregierung den ersten Ausstiegsbeschluss.
Das war der Grund für Lüneburger*innen in atomkritischen Initiativen, Verbänden, Gewerkschaften, Kirchengemeinden und Parteien, sich im Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom zusammen zuschließen.
Am 15.04.2023 gehen nun die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Auch wenn der Atomausstieg noch unvollständig bleibt, solange die Uranfabriken in Lingen und Gronau laufen und auch wenn der Atommüll nicht verschwinden wird, ist das ein Grund zu feiern.
Und um auf ein paar gelungene Aktionen zurück zu blicken:
Aktionscamp Clamartpark (September 2010)
Menschenkette Krümmel-Brunsbüttel – 120km / 120.000 Menschen! (24. April 2010)
Seit September 2020 ist klar: Auch der Landkreis Lüneburg ist beim Rennen für einen Standort für ein Atommülllager für die hochradioaktiven Hinterlassenschaften der Atomindustrie mit gleich fünf Teilgebieten dabei. Seitdem warten wir darauf, dass sich die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) in der Region blicken lässt und vor Ort erläutert, wie sie zu ihren Einschätzungen gekommen ist.
Für die Öffentlichkeitsbeteiligung ist das Bundesamt für die Sicherheit in der Nuklearen Entsorgung (BASE) zuständig. Doch auch die hat bisher nicht vor Ort im Landkreis Lüneburg informiert. Stattdessen lief die Beteiligung ausschließlich in Konferenzen, in denen die Zivilgesellschaft sich unter enormen Zeitdruck kurzfristig in umfangreiche, zum Teil unnötig komplizierte Dokumente einarbeiten musste. Immer wieder wurde sowohl von den Umweltverbänden aber auch von den Verwaltungen der betroffenen Regionen längere Fristen eingefordert. Ein besonders krasses Beispiel: während sich ganz Deutschland im Winter 2020/21 im Lockdown befand und die Kommunen mit dem Aufbau von Impfzentren beschäftigt waren, sollten innerhalb von wenigen Wochen zentrale Fragen für die erste Konferenz zur Bürger*innen-Beteiligung formuliert werden.
Bitten um Fristverlängerung und Forderungen auf Verschiebung aus dem Lockdown heraus wurden vom BASE mit Verweis auf den Zeitplan abgelehnt, jegliche Kritik wurde ignoriert. Umso ärgerlicher nun, dass sich dieser Zeitplan als unrealistisch herausgestellt hat und die Standortentscheidung um Jahrzehnte verschoben wurde.
LAgAtom begrüßt es, dass nun erstmals in Lüneburg die Möglichkeit besteht, sich vor Ort einen Einblick zu verschaffen! Diese Gelegenheit sollte unbedingt von vielen Menschen aus der Region wahrgenommen werden.
Deshalb werden wir uns auch nicht mit gelben Fässern davor stellen und protestieren, sondern gemeinsam die Ausstellung ansehen. Das BASE macht ja nun endlich, was wir seit Jahren fordern. Dabei sei noch einmal deutliche hervorgehoben: Mit der Ausstellung kann es nur um Information gehen. Das ist aber nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer echten Beteiligung der Zivilgesellschaft.
LAgAtom wird sich die Ausstellung am 21.04. um 15:00 Uhr ansehen. Macht das doch gerne gemeinsam mit uns.
Ein Überblick über den Stand der Suche aus der lokalen Brille findet sich im aktuellen Newsletter des BUND.
Am 15.04.2023 endet die Atomverstromung in Deutschland mit dem Abschalten der letzten drei AKW Isar II, Neckarwestheim II und Emsland.
Damit geht ein energiepolitischer Irrweg zu Ende, der nicht nur teuer und gefährlich war, sondern der den nachfolgenden Generationen nicht als strahlenden Müll hinterlassen hat.
Das dieser Weg nun zu Ende ist, ist ein riesen Erfolg, der gefeiert werden muss.
Das wird mit Abschlatfesten an allen drei AKW-Standorten geschehen (in Bayern verlegt in die Landeshauptstadt München).
Aber der Atomausstieg bleibt unvollendet, so lange die Urananreicherung in Gronau und die Brennelementfertigung in Lingen weiter laufen. Deshalb heißt es in Lingen am 15.04.2023
“Wer A-tomausstieg sagt, muss auch die B-rennelementfabrik stilllegen!
Die Demo beginnt um 13:00 an der Brennelementfabrik. Weitere Infos findet ihr hier.
Aus der Region Lüneburg kann man den Bus des BUND HH nehmen, der am Bahnhof Harburg halten wird. Infos dazu hier.
Auch wenn mit dem Schnee noch einmal der Winter eingezogen ist, versammelten sich am 11.03.2023 dem 12. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Lüneburg rund 70 Demonstrant*innen unter dem Motto Anti-Atom-Frühling.
Wie in rund 100 anderen Städten setzten sie damit ein Zeichen gegen die Debatte um Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke.
Bundesweit werden am Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima Menschen auf die Straße gehen, um ein deutliches Zeichen für das Abschalten der letzen AKW in Deutschland zu setzen – spätestens zum 15.04.2023.
Der BUND und die Inititiative .ausgestrahlt rufen zum Anti-Atom-Frühling auf.
In Lüneburg wird sich LAgAtom mit einer Mahnwache an dieser Kampagne beteiligen.
11.03.2023 – 11:00 – Am Sande
Redner*innen von BUND, Janun, Klimakollektiv, DGB und der Falken Jugend haben zugesagt bzw. sind angefragt.
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Aufruf zu einem „Anti-Atom-Frühling“ 2023
Atomausstieg jetzt!
Eigentlich hätte die Atomkraft in Deutschland an Silvester Geschichte sein sollen. Doch statt die letzten drei AKW Neckarwestheim 2, Emsland und Isar 2 wie geplant am 31.12.2022 abzuschalten, dürfen sie noch bis zum 15. April 2023 im sogenannten Streckbetrieb weiterlaufen.
Namhafte Politiker*innen von FDP, CDU und CSU aber fordern bereits weitere, langfristige Laufzeitverlängerungen. Sie wollen den Atomausstieg doch noch kippen. Dagegen werden wir mit aller Kraft protestieren. Wir rufen einen heißen Anti-Atom-Frühling aus, um den gesellschaftlichen Druck gegen längere AKW-Laufzeiten zu erhöhen. Spätestens am 15. April muss endlich Schluss sein mit der Atomkraft in Deutschland!
Der Winter hat klar gezeigt, dass die drei AKW für unsere Stromversorgung auch in Krisenzeiten nicht benötigt werden. Gutachten im Auftrag der Bundesregierung belegen, dass Deutschland auch in Zukunft seine Versorgungssicherheit ohne AKW und bei schnellem Kohleausstieg gewährleisten kann.
Es ist höchste Zeit, das Atom-Risiko endlich zu beenden: Die deutschen AKW sind nicht sicher. In allen drei Reaktoren gibt es Risse oder den Verdacht auf Risse an wichtigen Rohren. Seit Jahren fehlt es an nötigen Investitionen. Eine umfassende Sicherheitsüberprüfung fand zuletzt 2009 nach den Regeln der frühen achtziger Jahre statt.
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima am 11.3.2011 hat uns die verheerenden Folgen eines großen AKW-Unfall vor Augen geführt. Mit großer Mehrheit beschloss der Bundestag angesichts dieses schrecklichen Ereignisses damals den Atomausstieg 2022. Heute wollen sich daran viele nicht erinnern oder von ihrem politischen Versagen an anderer Stelle ablenken. Die FDP verweigert Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor und die CSU blockiert noch immer den Ausbau der Windenergie in Bayern. Wir wollen eine sichere und klimaverträgliche Stromversorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien. Zu einem Erneuerbaren-Stromsystem passen AKW genau so wenig wie Kohlekraftwerke.
Wir werden deshalb in ganz Deutschland am 11. März, dem Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima, auf Straßen, Plätzen und vor Parteizentralen präsent sein und am 15. April, dem vom Bundeskanzler ausgerufenen Abschaltdatum, im Emsland, am AKW Neckarwestheim und in München mit vielen Menschen auf die Straße gehen.
Cécile Lecomte erhält für ihr über viel Jahre hinweg unermüdliches Anti-Atom Engagement den diesjährigen internationalen nuclear-free award in der Kategorie “besondere Anerkennung”.
Das Lünebuger Aktionsbündnis gegen Atom (LAgAtom) und das KlimaKollektiv Lüneburg beglückwünschen Cécile zum Preis.
Sie hat den Castorwiderstand in Lüneburg und im Wendland mit ihren spektakulären Kletteraktionen geprägt und ist auch heute noch in und über Lüneburg hinaus aktiv. Cécile kämpft mit Aktionen, Workshops, Veranstaltungen und Berichten gegen Urantransporte über den Hamburg Hafen, zwischen Deutschland und Frankreich oder zur Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen. Dabei macht der französische Betreiber Framatome Atomgeschäfte mit Russland mitten im Ukrainekrieg. Weder die Brennelementefabrik in Lingen noch die Urananreicherungsanlage in Gronau sind Teil des deutschen Atomausstiegs.
„Ohne das Engagement von Cécile Lecomte wäre die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland deutlich schwächer und die internationale Dimension der Uranaufarbeitung in Deutschland weit weniger bekannt.“ „ihre Arbeit ist umso bemerkenswerter, als sie seit Jahren schwer erkrankt und auf einen Rollstuhl angewiesen ist.” urteilt die Nuclear-Free Foundation -Jury.
“Als lokale Anti-Atom-Initiative haben wir meist den Blick auf das Risiko, das von den Atomanlagen in der Region ausgeht. Cécile hat diese Sichtweise immer wieder um die globalen Zusammenhänge und den Beginn der Atommüllspirale in den Herkunftsländern des Urans erweitert. Atomkraft ist mit dem Gedanken einer globalen Gerechtigkeit nicht vereinbar.” Bernd Redecker, Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom
Cécile engagiert sich auch beim KlimaKollektiv Lüneburg für das Kollektiv ist klar: Don‘t nuke the climate!
“Atomkraft stellt keine Lösung für die Klimakatastrophe dar. Es wird vielmehr eine Scheindebatte geführt, um von den notwendigen Debatten um Klimagerechtigkeit, Postwachstum usw. abzulenken“, so Theresa Berghof vom KlimaKollektiv Lüneburg.
“Ich freue mich darüber, dass mein Engagement gewürdigt wird und hoffe in erster Linie, dass der Preis helfen wird, Anti-Atom-Positionen effektiver in die Öffentlichkeit zu tragen, Menschen für den Anti-Atom-Widerstand motivieren.” so Cécile Lecomte zum Preis.
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